Ich war krank und ihr habt mich besucht

Ein Interview zum Thema Demenz mit Uli Zeller

BMK: Lieber Uli, Du beschäftigst Dich intensiv mit dem Thema Demenz. Du schreibst Bücher, hältst Seminare und Vorträge. Was hat Dich zu diesem Thema gebracht?

UZ: Meine Mutter war Krankenschwester und hat in einem Altenheim im Nachbarort gearbeitet. So habe ich bereits als Kind immer so etwas wie Heimat und Geborgenheit empfunden, wenn ich meine Mutter bei der Arbeit besuchte - und dabei diesen typischen Altenheimgeruch aus Baldrian, Desinfektionsmittel und Griesbrei roch. Außerdem bin ich in meiner Kindheit viel bei meiner Oma gewesen. Das hat mein Interesse an der älteren Generation gestärkt. Wie denken und verhalten sie sich? Und warum sind sie so, wie sie sind? Außerdem bin ich Einzelkind. Und Einzelkinder (das habe ich erst neulich selber gelesen) haben durch ihre Prägung oft einen stärkeren Hang zu älteren Menschen - weil sie ja als Kind stets mit Älteren zu tun hatten. Auf das Thema Demenz kam ich dann durch viele Jahre Berufstätigkeit als Krankenpfleger und Seelsorger in Krankenhaus und Altenheim.

BMK: Demenz ist ein Thema, das die Mehrzahl der Menschen vielleicht mit Medizin und Hirnforschung verbindet. Was kann die Theologie, was kann das Christentum dort leisten? Was nicht?

UZ: Es ist richtig, wenn man sich mit Medizin und Hirnforschung auseinandersetzt. Aber als Christ will ich nicht dabei stehen bleiben. Denn gerade die Bibel betont ja, dass der Mensch mehr ist als nur ein Hirnwesen. Der Mensch ist auch noch wertvoll, wenn ein Organsystem ausfällt - wie zum Beispiel das Gehirn. Jesus hat gesagt: "Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht." (Mt 25,36). Das verstehe ich so: "Gehe hin, stelle dich zur Verfügung. Nimm dir Zeit. Besuche die Schwachen und Kranken. Sei einfach da." Ich denke, Christen können vor allem leisten, dass sie Menschen mit Demenz erstmal annehmen. Hin gehen, die Hand halten, zurören, einfach da sein. Zeit zusammen gestalten. Die Medizin und die Hirnforschung leisten eine wichtige Aufgabe darin, Demenz zu verstehen - und Lösungen zu finden, wie man mit diesem Phänomen umgehen kann. Aber als Christ frage ich mich vor allem: Wer ist der Mensch und wer ist dieser Mensch vor Gott? Wie kann ich Raum und Zeit mit ihm gestalten? Wie kann ich ihm Wert und Würde vermitteln?

BMK: Was bedeutet Dir Dein eigener Glaube im Umgang mit Menschen mit Demenz?

UZ: Ich bin froh, dass ich nicht der sein muss, der alles versteht. Aber dass ich den Gott kenne, der Himmel und Erde erschaffen hat. Der Gott, der die Menschen gestaltet hat und liebt. Auch wenn das Leben durch so etwas wie eine Demenz gewaltig durcheinander gekommen ist. Ich bin dankbar, dass ich mit meinen Fragen zu Gott gehen kann, dass ich ihm klagen kann, wenn ich an meine Grenzen komme. Dass ich wissen kann, dass er mich versteht und alles im Griff hat.

BMK: Gehen Deiner Erfahrung nach Menschen, die im christlichen Glauben verwurzelt sind, anders mit der Diagnose Demenz um? Wenn ja, wie?

UZ: Das kann ich nicht so pauschal sagen. Ich kenne einige bewusste Christen, die dement wurden. Für manche war das ganz schlimm und noch viel schlimmer als für Menschen, die nicht an Gott glauben. Sie sind fast daran verzweifelt, dass Gott das bei ihnen zulässt. Sie haben Gott nicht mehr verstanden, waren sehr unruhig, enttäuscht von Gott. Aber es gibt auch andere Beispiele. Christen, die in sich ruhen, die sich nicht durcheinander bringen lassen von einer Demenz. Menschen, bei denen man merkt, dass der Charakter und das Wesen tiefer geht als alle Denkfähigkeit.

BMK: Demenz ist auch ein Thema, das mit Sorgen und Angst beladen ist. Kannst Du aus Deiner Forschung und Erfahrung Hilfen nennen, wie man sich der Diagnose Demenz nähern kann? Was hilft, wenn es Familienangehörige oder einen selbst betrifft?

UZ: Ein Angehöriger hat mir einmal erzählt, dass er sich in Bezug auf seine demente Frau vorgenommen hat: "Jetzt lerne ich einfach einen neuen Menschen kennen." Er hat sich also bewusst dazu entschieden, die Frau jeden Tag neu anzunehmen, wie sie ist. Und ihre neuen Wesenszüge zu akzeptieren und in sein Leben einzubauen. Weiter hilft es, über das Thema zu reden. Demente Menschen sollte man nicht verstecken, sondern sie sollten Teil der Gesellschaft sein. Warum nicht einmal einen Nachbarn zum gemeinsamen Kaffeetrinken einladen (falls es den dementen Angehörigen nicht überfordert). Natürlich empfehle ich: Immer wieder tief durchatmen und beten. Und zuletzt: Sich als Angehöriger nicht nur um den dementen Angehörigen drehen - sondern auch die eigenen Hobbys und Vorlieben pflegen - und den eigenen Akku vollladen.

BMK: Du hast mit dem Akademischen Aufbaustudium Adelshofen an der Universität von Südafrika im Jahr 2013 den Master in Praktischer Theologie gemacht. Was hast Du aus diesem Studium für Deine Arbeit gewonnen?

UZ: Ich bin viel achtsamer geworden. Indem ich demente Menschen und Situationen ganz anders wahrnehme und viel reflektierter darauf eingehen kann.

BMK: Woran arbeitest Du gerade? Was sind Deine nächsten Ziel?

UZ: Im Moment bin ich öfter zu Lesungen aus meinen Büchern, sowie zu Vorträgen und Seminaren über den Umgang mit Demenz unterwegs. Und ich schreibe immer wieder neue Geschichten und Kolumnen.


Über Uli Zeller: 

Uli Zellers aktuelles Buch heißt "Frau Franke sagt Danke. Mutmachgeschichten für Menschen mit Demenz" (Link). Bekannt wurde der Krankenpfleger, Journalist und Theologe durch seine Vorlesebücher für Menschen mit Demenz und einen Ratgeber für Angehörige aus christlicher Sicht ("Vorlesebücher für Menschen mit Demenz" und "Ratgeber für Angehörige aus christlicher Sicht" (Link)).

Auf die-pflegebibel.de schreibt der Autor über seinen Pflegealltag.  

Bild: U. Zeller, privat.