Dankbar trotz durchkreuzter Wege

Wir alle wissen: Dankbare Menschen sind anziehend, undankbare meidet man. Die Frage nach der Dankbarkeit berührt meine Sicht vom Leben, von der Planbarkeit, und was mir wirklich wichtig ist. Und letztlich steckt dahinter die Frage nach meinem Bild von Gott. Habe ich meinen Anker bei einem Gott, der größer ist als mein Denken, der als der Schöpfer und Erlöser besser weiß, was gut für mich ist?

 

 

Dankbar sein, wenn alles einigermaßen gut geht, das sollte nicht so schwer sein. Dankbar gegenüber meinem Ehepartner, dass er zu mir steht, meinen Kindern, dass sie mein Leben bereichern und Sinn geben, meinen Freunden, dass sie da sind, wenn ich sie brauche. Aber was ist mit der Dankbarkeit, wenn es nicht so läuft, wie geplant oder erträumt?

 

Wahrscheinlich unerwartet

Es mag Menschen geben, die durch ihre gesicherte finanzielle Lage, harmonische Beziehungen und eine robuste Gesundheit nicht so „anfällig“ sind für Unvorhergesehenes. Wer sollte es ihnen nicht gönnen. Die haben‘s doch leicht, dankbare Menschen zu sein, oder? Der überwiegende Teil, selbst in unserer reichen westlichen Welt, ist sehr viel öfter Unvorhergesehenem ausgesetzt. „Das Unerwartete ist erfahrungsgemäß das wahrscheinlichste aller Szenarien“, schreibt Thomas Härry.[1]

So steht die Frage im Raum: können Menschen mit solchen Erfahrungen trotzdem dankbar sein? Immerhin ist es ja der überwiegende Teil der Menschen, der unter solchen Umständen leben muss. Kann es ein Leben in der Grundhaltung der Dankbarkeit geben – trotz oder mitten in durchkreuzten Wegen und Lebensplänen?

 

Ich möchte diese Frage unter zwei geschichtlichen Aspekten beleuchten, einmal an der Advents- und Weihnachtsgeschichte, da wir uns unmittelbar vor der Advents- und Weihnachtszeit befinden. Und dazu natürlich die Bibel befragen. In einem zweiten Abschnitt möchte ich etwas aus unserer eigenen Geschichte als Kommunität berichten, denn da haben wir auch etwas zu durchkreuzten Wegen und unerwarteten Entwicklungen zu sagen.

 

Maria, Josef und das Kind

Die Geschehnisse um die Geburt von Jesus, dem Retter der Welt, konkret die Wege von Maria und Josef sind voller durchkreuzter Pläne und Zumutungen. Maria, eine junge, verlobte Frau, die sich sicher innerlich auf ihre Hochzeit und ein Leben als Ehefrau und Mutter, als Unterstützerin ihres zukünftigen Ehemannes in seiner Zimmermannswerkstatt, vorbereitet hat. Eine junge Frau, die Gott kannte und ehrte. Dann das völlig Unerwartete: Maria erlebt das Wunder Gottes an ihr und das Berührtwerden durch den Geist Gottes, die einzigartige Erwählung und Berufung, Mutter des Heilands der Welt zu sein. Sie willigt ein, ja, preist Gott über seine Führung in ihrem berühmten Lobgesang. Und unzählige Menschen beten seither mit den Worten Marias Gott an und danken ihm für sein Wesen.

 

Gott gibt Maria Ermutigungen auf dem Weg der Zumutungen, unter anderem auch durch ihre Verwandte Elisabeth. Aber andererseits ist da sicher der tägliche Kampf in den Verdächtigungen einer Schwangerschaft ohne Ehemann. Dazu kommen Ängste, offene Fragen und geschöpfliche Nöte, ich denke da auch die Geburt unter elenden Bedingungen.

 

Und bei Josef – Ungeheuerliches war geschehen, seine Verlobte hatte ihn offensichtlich betrogen – er hätte fast rein menschlich gehandelt. Nur die Worte Gottes durch den Engel in sein Leben hinein ermöglichten ihm, entgegen Sitte und Verstand zu handeln und alles auf sich zu nehmen, was diese Lebensberufung beinhaltete. Durchkreuzte Pläne, eine schwangere Verlobte, eine beschwerliche Reise und keine angemessene Unterkunft bei der Geburt des Kindes. Dann wurde ihm auch noch die Rückkehr in seine Stadt Nazareth verwehrt, wo seine Familie endlich unter normalen Umständen hätte leben können. Unter Lebensgefahr musste er mit Frau und Kind in ein fremdes Land fliehen. Die Bibel sagt uns nichts über die Umstände, die Josef und Maria in Ägypten angetroffen haben, aber wir ahnen, dass auch das beschwerlich war.

 

Mir scheint diese Geschichte exemplarisch zu sein für Gottes Heils- und Segensgeschichte, obwohl sie natürlich einmalig in ihrer Bedeutung ist. Dabei ist es offensichtlich, dass die durchkreuzten Wege, bei Maria bis ins Alter, als Jesus am Kreuz sein Leben aushaucht, sich als die Wege des unermesslichen Segens für die ganze Menschheit erweisen. Auch in der Missions- und Kirchengeschichte gibt es unzählige Beispiele dieser durchkreuzten Pläne und Wege, die Gott in Segen verwandelt hat.

 

Verbunden für die Lebenszeit

Als Kommunität haben wir im Herbst 2022 das Lebenszentrum mit Theologischem Seminar samt Jahresteam, Verkündigungsdiensten, Erlebnisgarten, Gästebetrieb und Veranstaltungsangeboten in eine Stiftung umgewandelt. Ganz bewusst und einmütig, um das Werk in die Zukunft zu führen.

Die Kommunität als bisheriger Träger bleibt als Verein bestehen. Die Aufgaben des Lebenszentrums werden nun von einem Stiftungsvorstand verantwortet, dem angestellte Mitarbeiter und Kommunitätsgeschwister angehören.

 

Voraus ging ein jahrzehntelanges Beten, Glauben und Hoffen, dass Geschwister, die ausgetreten oder verstorben waren oder die, die aus Altersgründen Verantwortung abgeben mussten, durch genügend neue jüngere Brüder und Schwestern „ersetzt“ werden. Und dass damit die Kommunität weiterhin allein Trägerin dieses segensreichen Werkes bleiben kann und die meisten Bereiche des Zentrums durch Brüder und Schwestern verantwortet werden können. Doch inzwischen sind über zwei Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Angestellte oder auch einige als Ehrenamtliche mit großem Engagement und Herzblut im LZA tätig.

 

Für eine Reihe unserer Kommunitätsgeschwister wurde es zur großen Anfechtung: Haben wir nicht genug geglaubt und gebetet? Sind wir nicht mehr geistlich frisch, nicht mehr attraktiv genug, dass neue Schwestern und Brüder sich unserer Kommunität anschließen? Diese Fragen wurden von uns ernsthaft oft bewegt und bleiben letztlich unbeantwortet. Aber nun ist es so gekommen, dass zwar die jüngeren Geschwister sowohl in den verantwortlichen Gremien in der Stiftung als auch in der Leitung der Kommunität voll engagiert sind, der größere Teil der Gemeinschaft aber im Ruhestandsalter ist.

 

Durchkreuzte Wege

Das haben wir uns doch anders gedacht und geplant! Ich weiß, dass wir diese Entwicklung mit einer Reihe von Kommunitäten und Diakonissenmutterhäusern teilen. Da bleiben natürlich Schmerz und offene Fragen. Aber es berührt mich doch persönlich jedes Mal, wenn Schwestern und Brüder aus unseren kommunitären Gemeinschaften diese Entwicklung nur als Verlust wahrnehmen. Wenn das bei einer Begegnung das erste Thema ist, über das man spricht. Und nicht über die Dankbarkeit für Gottes gute Wege.

Alle diese Gemeinschaften haben einen riesigen Segen in Mission und Diakonie weltweit bewirkt. Und jedes hingegebene Leben auf diesem Weg ist von Gott gesehen und für sein Reich – oft unermesslich – fruchtbar geworden. Gottes Segen kommt aus Gottes Welt, ist unvergänglich, unkaputtbar, ewig, ja, hat ein hohes Potenzial zur Multiplikation! So wollen wir staunend danken, dass wir bei dieser Reichs-Gottes-Angelegenheit mitwirken konnten und weiterhin können. Wir wollen die Spannung aushalten zwischen dem Annehmen des Jetzt und rechnen mit Gottes Überraschungen, die wir so oft erlebt haben. Seien es neue Geschwister für die Kommunität, neue Formen des gemeinsamen Lebens oder andere Überraschungen!

 

Dankbarkeit scheint mir der Schlüssel zum Frieden über durchkreuzte Wege zu sein. In der Weihnachtsgeschichte ist eindeutig Gott am Werk und die Protagonisten willigen – Gott sei Dank – in seine Wege und Zumutungen ein. In unserer Geschichte ist sehr viel mehr Menschliches im Spiel. Aber ich sehe staunend, dass Gott parallel zu Scheitern und Umwegen großen Segen gibt.

 

Ein geistliches Geheimnis

In Psalm 50,23 betet der Sänger Asaf: „Wer Dank opfert, der preiset mich und das ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes“. Was für ein provokanter Satz! Und doch ein Geheimnis! Maria dankt Gott inmitten der enormen Herausforderungen und das Magnifikat ist ein Schatz der Kirchengeschichte geworden. Hier ist von Dank als Opfer die Rede. Ich danke, weil ich Gott kenne, nicht, weil schon alles so läuft, wie ich es wünsche. Danken trotz durchkreuzter Wege kann nur der, der Gott als den Vater, Jesus als den Heiland, Freund und Retter kennen gelernt hat. Dankbarkeit als Lebenshaltung gegen Gott und Menschen können wir einüben, unabhängig von Persönlichkeit und Lebensgeschichte, egal ob laut oder leise, in wohlgeformten Worten und oder mit einem dankbaren Blick. Die Psalmen geben uns dazu die beste Anleitung – in Klage, Anklage und Dank!

 

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: Der dir alle deine Sünden vergibt und heilt all deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit.

 

 

Sr. Dora Schwarzbeck gehört seit 1978 als Mitglied zur Kommunität Adelshofen. Sie ist Diplom Sozial Pädagogin (FH), Religionslehrerin, Bibliologin, langjährige Dozentin am Theologischen Seminar Adelshofen und war von 2006 bis 2016 leitende Schwester. Jetzt ist sie im Ruhestand und hilft immer da aus, wo es grad am nötigsten ist.

 

[1] Härry Thomas, Die Kunst des reifen Handelns, SCM R.Brockhaus 2018, S. 191