Das war für mich ein großer Schritt

Sr. Angelika Kaiser trat 1973 in die Kommunität ein und schaut auf fünfzig Jahre Gemeinschaft zurück. Und nicht nur das, denn auch das Leben vor Adelshofen hat sie stark geprägt, und es war nicht immer gut zu ihr. Dass sie zu der Frau wurde, die sie heute ist, verdankt sie neben der Freundlichkeit Gottes auch ihrer eigenen Entschlossenheit.

 

Sr. Angelika, wie ist das bei dir, fällt es dir eigentlich leicht, das Positive im Leben zu sehen?

Nein, gar nicht. Ich bin eher ein Mensch, der das Leben von der ernsteren und schwierigeren Seite her sieht. Dementsprechend habe ich das Meiste im Leben von der negativen Perspektive aus gesehen.

 

Wenn du sagst: „habe“, bedeutet das dann Vergangenheitsform? Hat sich deine Wahrnehmung denn geändert, beziehungsweise hast du sie geändert?

Ja, das hat sich geändert. Immer wieder habe ich mir vor Augen geführt, dass in der Bibel steht, Gott will unser Denken verändern (Römer 12). Ich habe gebetet, dass das an mir geschehen möge, und Gott hat es in seiner Gnade geschenkt. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess und bedeutet Kampf und Ausdauer, eben ein Dranbleiben.

 

Und wie ist das mit dem Thema Dankbarkeit?

Da komme ich viel besser zurecht, das fällt mir leichter. Ich bin zur Dankbarkeit erzogen worden, das hat eine gute Grundlage gelegt, und seit ich als Christ lebe, hat sich dieses dankbare Bewusstsein in mir verstärkt und weiterentwickelt.

 

Hat dein Leben in der Kommunität – jetzt immerhin schon 50 Jahre, herzlichen Glückwunsch zu diesem schönen Jubiläum – einen Einfluss auf diese Entwicklung gehabt?

Ja, das hat es. Im Zusammenleben und Miteinander in der Gemeinschaft kommen die verschiedensten Charakterzüge und Eigenarten von Menschen sehr schnell an die Oberfläche. Die der anderen, und meine eigenen natürlich auch. Da stand ich im Laufe der Jahre immer wieder vor der Frage, wie ich damit umgehe. Ob ich mich der Situation stelle und aktiv reagiere, oder ob ich passiv bleibe und nichts sage. Beides hat grundsätzlich Auswirkungen auf das Leben, und natürlich ist das auch bei mir so.

 

Hast du ein Beispiel? Wo und an welchen Punkten musstest du denn aktiv werden und bist auch tatsächlich aktiv geworden, um Dinge und dein Denken zu verändern?

Ich war viele Jahre sehr misstrauisch. Wenn eine Situation aufgetaucht ist, in der ich unsicher war, habe ich mich gefragt, wie ich damit umgehen will. Will ich mich vom Misstrauen bestimmen lassen oder einen anderen Weg einschlagen, um die Sache anzugehen und Veränderung zu erleben? Ich habe mich immer wieder für die zweite Variante entschieden, aber das ging nicht ohne Kampf mit mir selbst ab. Durch meine Erziehung wurde ich zwar in der Weise geprägt, dass ich Probleme oder Schwierigkeiten anpacke und keinen Bogen um sie herummache, aber das muss ja dann auch immer im Einzelfall angewendet werden. Meine Erziehung half mir, Dinge beim Schopf zu packen und mich ihnen zu stellen. Und ich bin bis zum heutigen Tag immer noch am Lernen und übe mich darin, umzudenken.

 

Das klingt nach viel Entschlossenheit und Willenskraft…

Ja, in diesem Prozess des Umdenkens spielt die eigene Entschlossenheit eine große Rolle. Ich muss meinen Willen einsetzen, ich muss wollen, dass sich etwas verändert in meinem Leben. Wenn ich nicht will und mich dagegen wehre, verschlimmert sich die Situation und hat mich mehr in Griff als ich sie. Dann komme ich in meiner persönlichen Entwicklung nicht vorwärts.

 

Du hast sicher so einiges erlebt auf diesem Weg. Für wen oder was bist du dankbar, wenn du auf dein Leben schaust?

In allererster Linie bin ich Gott unendlich dankbar, wie er mein Leben geführt hat. Von Ewigkeit her hat er mich im Blick gehabt und wusste, wie mein Lebensweg verlaufen wird. Bei allen Tiefen und Höhen hat Gott mir Menschen zur Seite gestellt, die sich für mich einsetzten, die für mich da waren, wenn ich sie gebraucht habe. Da gehören meine Großeltern dazu, meine Verwandtschaft und auch viele Freunde, die mit mir auf dem Weg waren und mich begleitet haben.

 

Du hast ja auch im Ausland gelebt, da warst du für andere Freundin und Hilfe und hast dich dabei mit anderen Kulturen und Sprachen auseinandergesetzt. Im Rückblick auf diese Zeit, wie leicht oder schwer ist dir diese Zeit gefallen?

Auf allen Wegstrecken im Leben gibt es gute und weniger gute Tage, das gilt natürlich auch für Einsätze im Ausland. Wenn ich heute auf diese Zeiten zurückblicke, staune ich, wie Gott mich behütet und bewahrt hat. In manchen Situationen war ich existenziell viel mehr und direkt auf Gott angewiesen als in anderen, diese Zeiten habe ich tatsächlich als einfacher und leichter in Erinnerung. Ich hatte mich mit einigem auseinander zu setzen. Da war unter anderem das geistliche Umfeld des Islam, das ganz andere Klima, eine ganz andere Sprache. Rückblickend kann ich sagen, mein Vertrauen auf Gott war fundamentaler, weil mein Glaube größeren Herausforderungen ausgesetzt war. Mir war klar, ich war viel mehr auf Gott geworfen und von ihm abhängig, ich konnte mich nicht so sehr an meinem Umfeld orientieren, wie ich das sonst konnte.

 

Was hat dir dabei besonders geholfen?

Ich habe erkannt: Wenn ich vor Gott, vor mir selbst und vor anderen Menschen keine Demut, keine Vergebung, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit lebe, dann wird es keine Veränderung in meinem Leben geben, dann wird es auch kein Wachstum geben. Doch gerade das ist ja Gottes Wille für mein Leben. Dafür ging Jesus ans Kreuz, damit ich das Leben und voller Genüge habe. Wenn ich dieses Angebot Gottes für mich in Anspruch nehmen will, dann muss ich auch etwas tun.

 

Erzähl mir doch abschließend noch von deinem schönsten „Dankbarkeitsmoment“.

Der schönste Dankbarkeitsmoment? Das war eindeutig der, in dem mir bewusst wurde und ich auch bereit war, es auszusprechen, dass ich meinem leiblichen Vater vergeben konnte und ich ihm nichts nachtragen musste. Wir hatten im Grunde keine Beziehung zueinander, und aufgrund verschiedener Umstände war es für mich sehr schwer, ihn als meinen Vater anzuerkennen. Als er dann die letzten Jahre seines Lebens im Pflegeheim verbringen musste, war ausgerechnet ich seine Bezugsperson. In diesen Jahren sind wir einander nähergekommen. Wir haben dabei zwar nicht über die Vergangenheit gesprochen, aber ich habe gelernt, ihn anzunehmen, so zu akzeptieren wie er war, mit allem, was die ganze Vergangenheit ausgemacht hat. Am Ende konnte ich ihm meine Vergebung zusprechen und ihm sagen, dass ich ihm nichts nachtrage und dass ich alles so annehmen kann, wie es war. Das war für mich ein großer Schritt. Als dann der Todeszeitpunkt kam, konnte ich ihn im Frieden gehen lassen. Wir waren versöhnt und das ist das größte Geschenk für mich, mein unangefochtener Dankbarkeitsmoment Nummer eins! Ich hatte in all den Jahren zuvor nie für möglich gehalten, dass ich diesen Moment einmal erleben würde. Aber so ist Gott, wenn wir Ihn in unserem Leben den ersten Platz geben. Alle Ehre sei Ihm!

 

Danke, liebe Sr. Angelika, für diese Einblicke in dein Leben und dir weiterhin Gottes Segen.