Einmal gefaltet

Keine Sorge: Das hier ist keine Bastelanleitung für Ikebana oder so etwas, es geht tatsächlich im tiefsten Kern um Nachfolge. Was das mit „einmal gefaltet“ zu tun hat, oder mit Einfalt eben, erklärt Christian Pletsch und wird dabei herrlich deutlich. Aber Vorsicht, bitte: seinen Beitrag kann man nicht einfach nur lesen, na, Sie werden schon sehen.

 

 

Es ist die unverschämte Einfachheit dieser Aufforderung in Markus 2,14, die einem schlichtweg den Atem raubt. Wie kann Jesus einfach so, im Vorbeigehen, diesen Zöllner Levi aus seinem ganzen bisherigen Leben herausrufen? Und das ohne Richtung, ohne Ziel, ohne Vision. Einfach nur hinter Jesus her. Jesus hat das Recht und die Vollmacht in die Nachfolge zu rufen, einfach darum, weil er der Christus, der Messias und der Sohn Gottes ist. „Jesus ruft in die Nachfolge, nicht als Lehrer und Vorbild, sondern als der Christus, der Sohn Gottes.“[1] Und auf diesen Ruf folgt tatsächlich sofortige Gehorsam. Völlig unvermittelt steht Levi auf und folgt Jesus. Es gibt keine Begründung. Wir möchten uns gerne Erklärungen basteln. Was mag wohl vorher alles schon passiert sein, dass Levi so spontan reagiert? Wie Gott ihn wohl auf diese Begegnung vorbereitet hat?

 

Jesus Christus ruft

Doch der Text schweigt sich aus. Denn es geht nicht um Gründe. Es geht um den, der ruft. Jesus Christus steht im Mittelpunkt. Er ruft und dem Rufenden gilt es zu folgen. Das ist der allerwichtigste Kern der Nachfolge. Christus ruft, der Jünger folgt. Das ist Gnade und Gebot in einem.[2] Dabei kann nicht deutlich genug betont werden, dass Nachfolge bedeutet, einer Person zu folgen: Jesus Christus. Warum geben bis heute auf einmal Männer und Frauen einen gut dotierten Beruf auf und machen sich auf den Weg, um Menschen irgendwo in dieser Welt von Jesus Christus weiterzusagen? Warum sind Menschen bereit, ihre ganze kulturelle und familiäre Bindung für ein Leben mit Jesus aufs Spiel zu setzen? „Weil es nur eine einzige gültige Begründung für dieses Gegenüber von Ruf und Tat gibt: Jesus Christus selbst. Er ist es, der ruft.“[3] Und weil Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, uns ruft und wir ihm folgen, darum kann Nachfolge niemals gelebt werden, ohne dass wir uns auf Christus selbst ausrichten. Der Ruf in die Nachfolge ergibt nur dort Sinn, wo wir Jesus Christus als den auferstandenen Gottessohn kennen und bekennen. „Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus.“[4]

 

Nicht ohne Blick auf Jesus

Nachfolge bezieht sich also nicht auf irgendeine Lehre, ein Bekenntnis oder ein besonderes Ziel. Wir folgen Jesus. Gott, dem Vater, können wir vertrauen, auf ihn hören, ihn anbeten und ihn verehren. Aber nachfolgen können wir nur Christus, dem menschgewordenen Gottessohn. Und das kann dann geschehen, wenn wir unseren Blick auf Jesus richten. Nachfolge beinhaltet eine unmittelbare Verbindung zu Jesus. So schrieb schon Thomas von Kempen in seinem berühmten Werk über die Nachfolge Christi: „Unsere erste Angelegenheit sei daher, das Leben Jesu Christi beständig im Auge zu haben.[5]“ Und das wird uns nur gelingen, wenn wir uns immer wieder mit ihm selbst, seinem Leben, seinem Reden, seinem Handeln befassen, wie es uns in der Bibel vorgestellt wird – sei es in den Evangelien oder in den Briefen des Neuen Testaments.

 

Es geht nur gemeinsam

Doch Nachfolge „bedeutet nicht nur, die Aufforderung Jesu zu hören, sondern sich mit anderen zusammenzutun, die dieselbe Aufforderung beherzigen und eine Antwort darauf in ihrem Leben verkörpern. Mit Jesus "sein" bedeutet, mit anderen in Gemeinschaft zu sein“[6] Als Jesus Levi am Zollhaus ruft, da beruft er ihn auch in eine Gemeinschaft. Schon die Berufung der ersten Jünger stellt der Evangelist Markus klar als einen Ruf in eine Gemeinschaft von Nachfolgern dar (Markus 1, 16-20). Jesus beruft Simon und Andreas, Jakobus und Johannes. In unserer hochgradig individualisierten westlichen Gesellschaft ist dieser Aspekt unglaublich wichtig. Wir verpassen die Nachfolge, in die Christus uns ruft, wenn wir versuchen sie isoliert zu leben oder meinen, wir kämen in diesem Unternehmen der Jüngerschaft auch allein mit Christus klar. „Nur ich und mein Jesus“ – das ist kein biblisches Konzept für ein Leben in der Nachfolge.

 

Ziel und Hingabe

Als Jesus Simon und Andreas in die Nachfolge ruft, deutet er bereits an: Nachfolge ist keine Weltflucht. Sie wird unweigerlich in die Sendung führen. Wer nachfolgt, wird durch Christus beauftragt selbst hinzugehen. Nachfolge ist auf Multiplikation ausgelegt und nicht auf Rückzug. Komm! – Folge! – Geh! Das ist der Bewegungsdreiklang der Nachfolge Christi.

 

Nachfolge hat – das zeigen uns die genannten Texte im Markusevangelium unmissverständlich – auch etwas zutiefst Herausforderndes und Radikales an sich. Jesus wollte keine Menschenmassen für sich gewinnen, sondern hingegebene Herzen. Auch verspricht er keine Sicherheit, weder wirtschaftlich noch anderweitig. Er sucht einfach nach solchen, die bereit sind, ihm völlig zu vertrauen und aus diesem Vertrauen auch zu handeln. Nachfolge bedeutet völlige Hingabe. „Sie verlangt alles: das ganze Herz, den ganzen Geist, das ganze Leben – all unsere Zeit, unsere Kraft, unseren Besitz, alles – um der Liebe willen.“[7]

 

Warum ist dieser Ruf in die Nachfolge so besitzergreifend? Weil unser Herz versucht ist, sich ständig mit anderen Dingen zu befassen. Es gibt so viele Werte, Gegenstände und Sichtweisen, die verfolgt werden wollen. Sie alle gieren nach unserer unbedingten Aufmerksamkeit. Wohlstand, Macht, Gesundheit, Ökologie, Ansehen, Genuss oder Wissen – sie alle sind nur Beispiele für Lebensziele, die sich darum drängen, den ersten Platz in unserem Leben einzunehmen. Darum muss der Ruf in die Nachfolge so unmissverständlich auf völlige Hingabe zielen. J. Heinrich Arnold schreibt dazu: „Wir dürfen nicht versuchen, mit dem einen Auge ihm nachzufolgen und mit dem anderen Auge nach etwas anderem zu blicken.“ [8]

 

Einfalt des Herzens

Wir können nicht Christus nachfolgen und gleichzeitig versuchen ein selbstgebasteltes anderes Ziel zu verfolgen. Doch wie kann dies gelingen? Ist das nicht viel zu viel verlangt? Was wir brauchen, ist das, was Martin Buber eine „geeinte Seele“ nennt.[9] Man kann auch von Einfalt des Herzens sprechen. Einfältig heißt dabei nicht dümmlich. Die hier angewandte Bedeutung kommt vielmehr aus dem wörtlichen „einmal gefaltet“. Wer ein Blatt Papier in die Hand nimmt und es einmal faltet, der bekommt eine klare und gerade Linie. Da gibt es keine Abzweigung und keine Kreuzung. Die Linie ist immer vollkommen gerade, mit eindeutiger Richtung. Diese Einfalt, diese innere Einheit in der klaren Ausrichtung auf Jesus, die benötigen wir, um in der Nachfolge nicht die Richtung zu verlieren. „Wenn wir das tief bedenken, werden wir uns darüber klar werden, dass jeder diese Spannung im eigenen Herzen austragen muss. Alle Geteiltheit muss aufgegeben werden. […] Wenn wir nicht die Einfalt des Herzens und des Geistes finden, dann wird uns unsere Gespaltenheit in Stücke reißen.“[10]

 

Gelebt und gerüstet

Warum sind wir so schnell innerlich zerrissen? Warum fällt es uns so schwer, zur Einfalt des Herzens zu gelangen? Wir sind – wie Luther sagte – zu sehr auf uns selbst bezogen und gleichzeitig geplagt von Sorgen, Schuld und Angst. Darum lehrt uns Jesus in der Nachfolge unter anderem das Vater-Unser-Gebet. Es steht für gelebte Nachfolge und gleichzeitige Zurüstung des Herzens.[11]Hier lernen wir von Jesus, wie wir beten sollen. Von ihm zu lernen, heißt ihm zu folgen. Es beginnt mit der unerhörten Anrede „Vater“. Mit Jesus beten wir zum Vater – sein Vater ist auch unser Vater. Wir sind durch Christus in den Stand von Kindern Gottes versetzt. Damit ist uns eine völlig neue Identität gegeben. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass wir Gott und seinen Willen suchen. Dein Name, dein Wille, dein Reich. Weg vom dicken „Ich“ und hin zu Gott. Wir stellen uns in seinen Dienst, sein Wille soll uns bestimmen, ihn wollen wir ehren. Und wir lernen unsere Sorgen (das tägliche Brot), unsere Schuld (vergib uns) und unsere Angst (erlöse uns von dem Bösen) bei dem allmächtigen und gütigen Vater abzugeben, uns ganz in seine Hände zu legen. So werden wir das los, was uns innerlich zerreißt und bekommen selbst Herz und Hände frei, um mit geeinter Seele, mit ganzem Herzen und aller Kraft dem nachzufolgen, der zu uns spricht: Komm, folge mir nach!

 

 

Christian Pletsch ist Kaufmann und Theologe, war Leiter der KEB in Deutschland und ab 2016 Verwaltungsleiter des LZA, 2022 wurde er dort zum ersten Vorstandsvorsitzenden der neuen Stiftung berufen. Christian ist mit Kerstin verheiratet und Vater von zwei Teenager-Töchtern.

 

[1] Bonhoeffer, D. (2015). Nachfolge (M. Kuske & I. Tödt, Hrsg.; Sonderausgabe, Bd. 4, S. 45). Gütersloher Verlagshaus.

[2] Bonhoeffer, D. (2015). Nachfolge (M. Kuske & I. Tödt, Hrsg.; Sonderausgabe, Bd. 4, S. 47). Gütersloher Verlagshaus.

[3] Bonhoeffer, D. (2015). Nachfolge (M. Kuske & I. Tödt, Hrsg.; Sonderausgabe, Bd. 4, S. 45). Gütersloher Verlagshaus.

[4] Bonhoeffer, D. (2015). Nachfolge (M. Kuske & I. Tödt, Hrsg.; Sonderausgabe, Bd. 4, S. 47). Gütersloher Verlagshaus.

[5] Thomas a Kempis. (1905). Die Nachfolge Christi (W. Ebert, Hrsg.; Siebzehnte Auflage, S. 1). Gustav Nebel.

[6] Hardy, A. R., & Yarnell, D. (2018). Missional discipleship after christendom. Cascade Books.

[7] J. Heinrich Arnold (2016). Leben in der Nachfolge. Plough Publishing House. S. 21

[8] J. Heinrich Arnold (2016). Leben in der Nachfolge. Plough Publishing House. S. 36

[9] Martin Buber (1960). Der Weg des Menschen. Gütersloher Verlagshaus. S. 29

[10] Ebd.

[11] Vgl. hierzu ausführlich Bernhard Ott (2019). Tänzer und Stolperer. Neufeld Verlag. S. 136-140