Das Ziel vor Augen

von Br. Matthias Böker

Unser Lebensalltag ist von den verschiedensten Zielen bestimmt. Manche Kurzzeitziele – wie beispielsweise morgens aus dem Bett zu kommen, den Frühstückstisch zu decken oder rechtzeitig den Bus zu erreichen – haben die meisten von uns gut im Griff. Manche Langzeitziele sind da schon herausfordernder: die Schule erfolgreich abzuschließen, den richtigen Beruf zu wählen, eine Familie zu gründen, zu tun, wofür wir brennen. Viele dieser Ziele gehören einfach zu den normalen Herausforderungen unseres Alltagslebens in der Gesellschaft.

Und dann gibt es da auch noch die Ziele, die unser Wesen und damit persönliche Veränderungsprozesse betreffen. Manchmal werden sie uns plötzlich in Krisensituationen deutlich. Da reagieren wir im Ärger negativ, verletzen jemanden mit Worten und spüren Wesenszüge in uns, die uns erschrecken lassen. Und so manches Mal setzen wir uns in diesen Krisensituationen das Ziel, in Zukunft die Unart oder das Böse zu besiegen. Ein noch größeres Ziel leuchtet auf, wenn liebe Menschen durch den Tod von uns gerissen werden. Unüberhörbar meldet sich der Wunsch nach dauerhaftem, unvergänglichem, ewigem Leben – einem Leben in Gottes Herrlichkeit – also Leben, das über den Tod hinausragt.

So stehen uns verschiedene Ziele vor Augen und es stellt sich die Frage, wieweit sie einem übergeordneten Ziel unterstellt werden können. Der Apostel Paulus spricht im Brief an die Christen in Kolossä genau von diesem übergeordneten Ziel, geht es doch darum, Jesus Christus zu erkennen und das Leben als Nachfolger Jesu allein auf ihn auszurichten (Kol 1,27): „Gott hat das Geheimnis offenbart: Christus in Euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“. Anders ausgedrückt: Das übergeordnete Ziel ist Gottes Herrlichkeit, Gottes neue Welt. Davon ist er beseelt. Welche Etappen markieren den Weg zu diesem Ziel?

Christus - mein Retter

Wenn wir unser Leben anschauen, merken wir recht schnell, dass wir nicht wirklich zu Gottes Welt passen. Wir wissen, wie ein schlechtes Gewissen drückt, wie schwer uns eine Lüge auf der Seele liegt, wie mies wir uns fühlen, wenn wir jemanden betrogen haben, wie drückend es ist, wenn wir jemanden hintergangen haben.

Und die Antworten der Religionen bringen auch nur Scheinlösungen, wenn sie fordern: Nahe dich Gott durch Meditation. Strenge dich an, ein gutes moralisches Leben zu führen. Bringe Opfer, die richtig wehtun. Halte bestimmte Vorschriften ein. Erweise dich vor Gott als würdig, etc.

Wie viele Menschen sind darauf schon bereitwillig – und mit guten Vorsätzen – eingegangen und sind doch an ihrer Unfähigkeit gescheitert. Wieder und wieder raffen sie sich auf, mit guten Absichten ein neues Leben zu führen, bis sie enttäuscht ihren Irrtum erkennen. Manche werden darüber gleichgültig, andere verzweifeln, denn sie wissen nicht, wie ihr Leben noch eine Wende nehmen kann.

In dem vorangehenden Vers (Kol 1,26) stellt der Apostel Paulus heraus, dass etwas Phänomenales geschah, nämlich als Gott vor der ganzen Welt offenbarte, wie man mit ihm ins Reine kommt: Gott selbst kam in Jesus in diese Welt und ließ sich stellvertretend für die Sünde der Menschen strafen. Wie geschah das? Jesus geht darauf ein, wenn er sagt (Joh 10,11): „Ich bin der gute Hirte.“ Damit deutet er Ps 23 auf sich, wo König David über Gott sagt: „Der Herr ist mein Hirte.“ Jesus fährt fort (Joh 10,11): „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Das ist das Geheimnis, wie man mit Gott ins Reine kommt: Gott selbst sühnt – in Jesus – unsere Strafe.

So schreibt der Jünger Johannes über Jesus (1 Joh 2,2): „Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“ Und Jesus sagt über sich, dass er für uns leiden, sterben und am dritten Tag auferstehen wird (Lk 9,22). Er hat unsere Sünde gesühnt, so möchte Christus uns seine Gerechtigkeit (1 Kor 1,30) schenken, wenn wir sie annehmen. Wie muss Gott uns lieben, dass er nicht einmal da Halt macht, wo unsere Bestrafung ihn trifft! Er lässt sich schlagen, in Jesus hinrichten, damit deine und meine Sünde gesühnt und abgegolten wird. Ja, was ist das denn? Geheimnis der Liebe, die sich opfert. Liebe.

Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit.

Kolosser 1,27

Da fragt man sich doch: gilt das für alle? Ja, es gilt allen, wie Jesus es selbst bezeugt (Joh 3,16): „Denn so sehr hat Gott die Welt (egal aus welcher Nation) geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab (der sich am Kreuz für uns hinrichten ließ), damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Wie bitte erhalte ich es? Was muss ich tun? Was sind Bedingungen? Es gilt allen, so sagt er, die Jesus Christus glauben und vertrauen, dass er ihr Retter ist. Christus – mein Retter.

Ich nehme an, dass wir alle schon einmal diese Gedanken in ähnlicher Weise irgendwann gehört haben. Aber welche Auswirkungen hatte dies bisher für uns? Manche Menschen halten diese Worte sehr wohl für wahr, aber sie vertrauen sich nie Jesus an. Sie wissen gar nicht, dass Gott sie ernst nimmt, dass ihre Entscheidung gefragt ist. Und wie ist es bei Ihnen? Vertrauen Sie Jesus, dass er Ihre Sünde gesühnt hat? Sind Sie schon auf seine Seite getreten und folgen ihm? Wenn nicht, dann wenden Sie sich doch im Gebet vertrauensvoll an Jesus Christus. Er lebt. Er hört Sie. Er rettet Sie.

Wenn Christus unser Retter ist, können wir mit ihm leben und sterben. Dazu eine persönliche Begebenheit. Als mein Vater vor Jahren im Sterben lag, saß in den letzten Stunden mein ältester Bruder an seinem Bett. Mein Vater hatte als junger Mann sein Leben Christus anvertraut. Nun ging er auf den Tod zu. Seit zwei Tagen konnte er nicht mehr sprechen. Mein Bruder las ihm Worte aus der Heiligen Schrift vor, bis er zu Abschnitten aus dem Johannesevangelium kam. In Kapitel 11 spricht Jesus davon, dass er die Auferstehung ist und diejenigen auferweckt, die an ihn glauben (V. 25f.): „Jesus spricht zu Martha: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?“ „Ja, ich glaube!“, sagte mein Vater plötzlich. Er meinte, er sei angesprochen und bezeugte noch einmal, worauf er ein Leben lang vertraut hatte. In diesem Vertrauen ging er kurz darauf heim. Es ist das wichtigste Ziel unseres Lebens: Christus zu erkennen. Christus – mein Retter. Christus vertrauen. Mit ihm können wir leben und sterben.

Der Apostel Paulus führt nun in V. 27 aus, was es bedeutet, wenn wir Christus als Retter erfahren. Dann, so sagt er, lebt „Christus in euch“. Jesus Christus kommt in unser Leben. Und das kann ganz erstaunliche Folgen haben, sagt er doch in Mt 28,18: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“

Christus - mein Leben

Die große Veränderung in uns beginnt definitiv dann, wenn sein Leben in uns pulsiert. Christus lebt in uns durch seinen heiligen Geist. Da ist eine Neuschöpfung in uns geschehen. Wir stehen von jetzt ab in einer Lebensgemeinschaft mit dem auferstandenen Christus. Christus – mein Leben.

Und weil er zu uns gekommen ist, möchte er auch unser Leben durch seinen göttlichen Glanz prägen, verändern, ihm ähnlich machen. Deshalb sagt Paulus (2 Kor 3,18): „Wir schauen ihn an und werden immer mehr in sein Bild hinein verwandelt, ihm ähnlicher.“ Wie geschieht das?

Ist es nicht oft der Stolz, der uns hindert, uns helfen zu lassen?

Indem wir lernen, seinen Willen über unseren Willen zu stellen. Indem wir auf seine Stimme hören und ihm gehorchen. Indem wir ihm Räume unseres Lebens überlassen. Dann erleben wir ihn, seine Kraft, ja, ihn persönlich, gegenwärtig. Und was ist mit den Bereichen unseres Lebens, in denen sich negative, vielleicht sogar zerstörerische Einstellungen hartnäckig halten und echte Veränderung hindern? Was ist mit den Bereichen, wo es unser Ziel ist, „über unseren Schatten zu springen“, Veränderung zu erfahren, wo uns aber die Kraft fehlt, beispielsweise zu verzeihen? Wie kann Veränderung geschehen, wenn der Zorn uns bestimmt, die Macht des Egoismus uns regiert, wir Zwietracht verbreiten, wenn heimlich praktizierte Süchte unser Leben fest umklammern? Wo bleibt dann die Gewissheit, dass Christus tatsächlich Inhalt und Aussage unseres Lebens ist? Verzweiflung, Selbstablehnung etc. darüber ist durchaus verständlich, sieht man doch keine Hilfe.

Es braucht die Krise

In dieser schmerzlichen Krise stellen wir uns der Wahrheit und gestehen uns ein: Ja, so ist es. Ja, so bin ich. Eine Änderung muss geschehen. Aber ich selbst habe nicht die Kraft. Durch mein Scheitern bin ich ans Ende gekommen. So ist es mit vielen Notsituationen in unserem Leben: Wenn wir innehalten, sie eingestehen ist dies der erste Schritt zur Heilung. Es wird gesagt, dass man einen Ertrinkenden erst retten kann, wenn ihn die Kräfte verlassen und er wirklich zu ertrinken droht. Solange er noch verzweifelt versucht, sich selbst zu helfen, in Panik um sich schlägt, kann er sogar einen Schwimmer, der ihm zur Rettung kommt, in Lebensgefahr bringen. Ebenso ist einem Alkoholsüchtigen erst dann zu helfen, wenn er seine Sucht nicht mehr beschönigt, sein heimliches Trinken nicht mehr vertuscht, sondern eingesteht. Ist es nicht oft der Stolz, der uns hindert, uns helfen zu lassen? Dagegen geschieht dann Heilung, wenn wir es zulassen, dass Gott sich zu uns neigt, was die tiefe Bedeutung des Wortes „Gnade“ ist!

Durchbruch zur Gnade

In dieser Enttäuschung über uns sind wir nun in der richtigen Verfassung, um Hilfe von unserem auferstandenen Herrn empfangen zu können. So wie wir das Leben aus Christus nur durch Gnade empfangen haben, erleben wir die weitere Veränderung unseres Lebens ebenso nur durch Gnade – nicht durch Vorsätze. Wir können uns erneut vor Augen stellen: Christus ist mein Leben. Und so zieht sein Leben auch nur dort bei uns ein, wo wir es uns – aus Gnade – schenken lassen.

Gnade gewähren

Wie können wir lernen, uns selbst diese Gnade zu gewähren und den Menschen in unserem Umfeld? Es kann damit beginnen, dass wir uns verdeutlichen, dass auch wir durch Gottes Gnade geliebt und von ihm angenommen sind. Gehalten durch Gottes Gnade können wir die dunklen Seiten, Wesenszüge unseres Lebens anschauen. Wir können sie uns eingestehen und uns zuversichtlich an Gott wenden: „Schau, das ist meine Wunde, meine Schuld, mein Unvermögen, meine Sucht, ... Bitte reinige mich und heile sie. Ich brauche Deine Auferstehungskraft.“ Dann können wir auch anderen Menschen diese Gnade gewähren, indem wir ihnen verzeihen, die Hand zu einem Neuanfang reichen oder auch sie in ihrer Andersartigkeit ertragen, achten und wertschätzen.

Christus - meine Hoffnung

Paulus nennt in Kol 1,27 noch einen dritten Aspekt der Ausrüstung, der uns das Ziel unseres Lebensweges klar vor Augen hält: „Christus in Euch – die Hoffnung der Herrlichkeit.“

Worauf ich meinen Blick lenke, was ich anschaue, das prägt mich.

In der Bibel wird die Hoffnung auf Gottes Handeln nie so wage dargestellt wie die Hoffnung auf glückliche Umstände, z. B. dass unser Verein hoffentlich das nächste Spiel gewinnt. Biblische Hoffnung gründet sich vielmehr darauf, was Gott zugesagt hat. Das gibt Gewissheit.

Weil Christus, der Auferstandene, in uns lebt, ist damit die Gewissheit verbunden, dass er seine Herrlichkeit, seine Herrschaft eines Tages uneingeschränkt entfalten wird. Einige Aussagen aus dem Neuen Testament führen uns dies vor Augen. Jesus spricht: „Ich gehe hin zum Vater, euch eine Stätte zu bereiten. Wenn ich wiederkommen werde, dann werde ich Euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo auch ich bin.“ (Joh 14,2f.) „Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz.“ (Off 21,4) „Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu.“ (Off 21,5)

Das ist die Hoffnung der Herrlichkeit, die Gewissheit, dass sich seine uneingeschränkte Herrschaft am Ende durchsetzen wird. Weil Christus auferstanden ist und in uns lebt, werden auch wir eines Tages auferweckt werden, wenn er kommt, um in seinem Reich der Herrlichkeit zu sein (Röm 8,11).

Für uns, die wir Jesus heute folgen, ist der Blick auf dieses Ziel entscheidend, weil wir dann entschlossen darauf zugehen. Worauf ich meinen Blick lenke, was ich anschaue, das prägt mich. Worauf lenken Sie Ihren Blick? Als unser Kommunitätsbruder Karlheinz Vogelgesang im Juli 2017 die Nachricht seiner tödlichen Krankheit bekam, schrieb er an einige Freunde: „Ich war nicht erschrocken über diese Nachricht, obwohl sie völlig überraschend kam, weil ich mich schon jahrelang mit dem Gedanken des Heimgangs in Gottes neue Welt beschäftigt habe, und mit großer Freude und Gewissheit in all den vergangenen Jahren auf diese Zeit zugelebt habe. Nun scheint dieser Wunsch schon recht bald in Erfüllung zu gehen. Durchs Bibellesen in den vergangenen Jahrzehnten steht mir diese neue Welt Gottes greifbar vor Augen, und ich bin tief dankbar, dass Gott durch das Opfer von Jesus Christus auf Golgatha den Weg für uns Menschen geöffnet hat, mit ihm in Ordnung zu kommen.“ Kurz vor seinem Tod fragte ich ihn: „Bruder Karlheinz, wie gehst Du jetzt auf den Tod zu?“ Sehr gelassen sagte er: „Ich habe in all den Jahren gelernt, dass ich Jesus vertrauen kann und das tue ich auch jetzt. Er hat zugesagt, dass er meine Sünden vergeben und mir eine ewige Heimat bereitet hat, mich auferwecken wird. Ich vertraue ihm, der mir diese Verheißung gegeben hat, dass er sie einlöst. Dafür ist er verantwortlich.“ Hoffnung auf Herrlichkeit. Das gab ihm Halt bis er Ende August heimging.

Das Ziel vor Augen

Es kommt auf „das Ziel“, das richtige Ziel an. Unser Grafiker hat die Worte „DAS ZIEL“ größer als die anderen Worte gestaltet. Christus ist das Ziel, seine Herrlichkeit. Leben Sie schon mit dieser Perspektive?

Christus – mein Retter
Christus – mein Leben
Christus – meine Hoffnung

Ist das auch schon Ihre Lebensgrundlage? Sonst sagen Sie es doch Gott im Gebet, was Ihr Anliegen ist. Er hört Sie. Mit diesem Ziel vor Augen können wir leben und sterben. Ist das auch schon Ihre Lebensgrundlage? Sonst sagen Sie es doch Gott im Gebet, was Ihr Anliegen ist. Er hört Sie. Mit diesem Ziel vor Augen können wir leben und sterben.
Amen.