Erstmal zuhören

Um richtig zu hören, muss man erstmal richtig zuhören, meint Monika Baumann, und nimmt uns mit in die Beratungspraxis. Hier geht es darum, Menschen in Lebenskrisen und Nöten, sowie in ihrem Prozess der Veränderung zu begleiten. Die Prinzipien des Zuhörens helfen jedoch auch in Alltagsgesprächen und können Wunder bewirken.

 

Am Ende einer Gesprächs-Schulung sagte ein Teilnehmer: „Ich habe gelernt, wie wichtig zuhören ist“. Was banal klingt, hat es in sich: Welchen Redeanteil hatten Sie beim letzten Gespräch? Wie lange haben Sie am Stück zugehört, ohne zu kommentieren? Oder umgekehrt: Wann hat Ihnen jemand in aller Ruhe zugehört und was hat das bei Ihnen bewirkt?

 

Geschärfte Sinne

Goethe sagte: „Gott gab uns nur einen Mund, aber zwei Ohren, damit wir doppelt so viel zuhören wie reden.“ Diese 2:1 Regel hilft, das umzusetzen, was Jakobus schreibt: „Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn“ (Jak 1,19). Warum fällt es uns schwer, abzuwarten und gründlich zuzuhören, bevor wir unsere eigene Story erzählen und schlaue Tipps geben? Zuhören erfordert volle Aufmerksamkeit. Nicht meine Deutung und Erfahrungen zählen, sondern das, was er oder sie zu sagen hat. In Seelsorge und Beratung ist das die Grundlage für alle weiteren Schritte. Hören beginnt schon, bevor der Ratsuchende den Raum betritt: Im Hören auf Gott und mit der Bitte um Wachsamkeit und Weisheit. Die innere Ausrichtung des Seelsorgers auf Gott schärft seine Sinne und hilft ihm, eigene Themen bei Gott abzugeben, um frei zu sein für sein Gegenüber.

 

Um wen es geht

Beim Start des Gesprächs gilt es den Auftrag des Ratsuchenden zu hören. Auch Jesus fragt den Blinden: „Was möchtest du von mir?“ (Mk 10,51), obwohl die Sache auf der Hand zu liegen scheint. Jesus bevormundet nicht, er will wissen, was sein Gegenüber möchte. In der Beratung hilft eine saubere Auftragsklärung, dem Ratsuchenden auf Augenhöhe zu begegnen und ihn in seinem Anliegen zu begleiten. Während des Gesprächs geht es um ein Hören in drei Richtungen: Was sagt mein Gegenüber? Was löst das in mir aus? Was sagt Gott dazu? Dem anderen zuhören braucht Aufmerksamkeit für seine Worte und Gesten, seine Körperhaltung und Stimmlage. Es gilt, Pausen auszuhalten, wenn das Gegenüber um Worte ringt oder ein gesetzter Impuls in ihm wirkt. Dieses produktive Schweigen kann der Beratende nutzen, um auf Gott zu hören und Impulse zu erbitten. Was der Beratende hört, löst etwas in ihm aus. Facetten der eigenen Lebensgeschichte werden berührt. „Das kenne ich, bei mir war es so ähnlich...“ würde uns im Gespräch mit Freunden schnell über die Lippen rutschen. In der Beratung geht es um ein achtsames Auseinanderhalten dessen, was das Gegenüber bewegt und was eigene Themen des Beraters sind. Denn dieselbe Situation – zum Beispiel der Verlust der Arbeitsstelle – kann beim Gegenüber etwas anderes auslösen als man vermutet hätte. Und das gilt es herauszufinden.

 

Drei wesentliche Ebenen

Gute Beraterinnen und Berater wollen wissen, ob sie richtig gehört haben – dazu umschreiben sie mit eigenen Worten, fragen nach und helfen dem Ratsuchenden, sich selbst besser zu verstehen. Durch Spiegeln auf den drei Ebenen Sache, Gefühl und Bedürfnis kommen sie dem Anliegen des Ratsuchenden auf die Spur. Spiegeln heißt, Fragen und Deutungen anzubieten, um herauszufinden, ob die Nachricht auf allen Ebenen richtig verstanden wurde. Sache: „Wenn ich dich richtig verstanden habe, hat dich dein Partner gestern zum wiederholten Mal versetzt und die Verabredung platzen lassen.“ Gefühl: „Wenn er dauernd die Verabredung platzen lässt, hast du das Gefühl, dass er dich nicht ernstnimmt und bist enttäuscht.“ Bedürfnis: „Du würdest dir wünschen, dass er wenigstens absagt?“ Jemanden zu haben, der auf diese Weise aktiv zuhört, ist für den Ratsuchenden bereits Hilfe, denn er erlebt Zuwendung, Annahme und Wertschätzung. Er ist in seinem Anliegen nicht mehr allein. Nicht selten bringen Ratsuchende einen ganzen Komplex an Themen mit; hier heißt zuhören, beim Sortieren zu helfen, wie die Dinge zusammenhängen und was obenauf liegt. Auf dieser Grundlage kann eine Beratungsplanung erfolgen.

 

Das Richtige hören

In der Beratung ist zuhören nicht nur eine Sache der Ohren, sondern wir gehen mit allen Beziehungsorganen auf Empfang – mit den Augen, den Ohren, der Körperwahrnehmung und unserem Einfühlungsvermögen. Das, was gesagt wird, ist manchmal doppelbödig. Zum Beispiel: Scheinbar hat sich der Ratsuchende mit seiner Krankheit abgefunden und sagt: „Nun ja, anderen geht es schließlich noch schlechter. Da will ich nicht meckern.“ Doch in seiner Körperhaltung und in der Art und Weise, wie er redet, hört man heraus: Der Mensch klingt verbittert und scheint resigniert zu haben. Das wahrzunehmen und anzusprechen, zeigt dem Ratsuchenden, dass er zu sich und seinen Gefühlen stehen darf. Und was sein darf, kann mit Gottes Hilfe verwandelt werden. Auch unsere Haltung als Berater ist entscheidend. Es geht darum, den anderen „bei seinen Stärken“ zu erwischen und positive Ausnahmen zu entdecken. Auch ein zerstrittenes Ehepaar hat in seiner Geschichte in der Regel gemeinsame Glücksmomente gehabt. Das bedeutet, wir betrachten den anderen aus der verheißungsvollen Perspektive der Möglichkeiten Gottes und dem, was noch werden kann. Wer genau hinhört, merkt außerdem: Oft stecken in bildhaften Aussagen der Ratsuchenden schon erste Ansatzpunkte, die lösungsorientiert aufgenommen werden können. Jemand sagt: „Da kann man nichts mehr machen.“ Der Ratgebende fragt: „Wer sollte denn was noch machen?“ Oder die Aussage „Der Ärger kostet mich viel Kraft.“ Kann mit der Frage „Wofür brauchen Sie diese Kraft?“ aufgegriffen werden. Auf diese Weise kann selbst ein Tür- und Angelgespräch hilfreiche Anregungen für eine Veränderung geben.

 

Der Kreis schließt sich

Was der Beratende zu hören bekommt, ist ihm anvertraut. Deshalb behält er das Gehörte für sich und hält die Schweigepflicht ein, solange keine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Achtsam mit sich umzugehen, bedeutet für die Beraterin und den Berater, die Ratsuchenden und ihre Nöte an Gott abzugeben. In der Supervision kann man unter Wahrung der Schweigepflicht loswerden, was nach solchen Gesprächen in einem nachschwingt und man lernt, wie man ein noch hilfreicheres Gegenüber für Ratsuchende werden kann. Am Ende schließt sich der Kreis. Im Anschluss an ein Gespräch heißt Hören auf Gott sich zu erinnern, wie man selbst als Beratender vor Gott steht. Und dass Gott allein der Retter der Welt ist. So bleibt der Beratende wirksam und kann im nächsten Gespräch wieder tun, was seine Aufgabe ist: Erstmal zuhören.

 

 

Monika Baumann MTh (UNISA) ist Dozentin am TSA, unter anderem für Seelsorge, organisiert die Praktika der Studierenden und ist gerne in Gemeinden unterwegs. Freiberuflich ist sie Beraterin (BI) und Supervisorin (EASC), mehr unter: freiraumfinden.com